Zwischen Imagination und Realität – zu den Bildwelten von Simone Haack
Barbara Nierhoff, Kunsthalle Bremen 2006
Simone Haack beschreitet den alten Königsweg der Kunst: Sie malt Bilder. Traumwandlerisch sicher hat sich die junge Künstlerin in der langen Tradition der abbildenden, realistischen Malerei verortet und eine eigene, unverwechselbare Position geformt.
Im Mittelpunkt ihres Interesses steht der Mensch – zumeist die weibliche Gestalt. In ihren Aktbildern wählt die Künstlerin ungewöhnliche Körperhaltungen und Perspektiven. Die Frauen verharren zumeist in einer Körpersituation, die zwischen existentieller Aufgeladenheit und ursprünglicher Zwanglosigkeit laviert. So schauen wir von oben auf eine hockende Frau, die ihre Beine fest an den Oberkörper gezogen hat. Schützend verriegeln die Arme den Körper und geben den Blick auf diesen nackten Leib nicht preis. Hockende beziehungsweise in Embryonalhaltung gezeigte Figuren sind ein Leitmotiv von Simone Haack. Schutz und Schutzlosigkeit zugleich werden thematisiert und als eine existentielle Grunderfahrung des Menschen anschaulich. Aus diesem Grund verzichtet die Künstlerin bei der Darstellung ihrer Figuren zumeist auch auf jedwede Attribute, die den gesellschaftlichen, sozialen oder emotionalen Kontext der Modelle offenbaren würden. Das gleiche gilt in Bezug auf die Individualisierung der Gestalten. Kein modischer Haarschnitt verankert die Frauen im Hier und Jetzt und keine auffallende Physiognomie verkettet sie im Individuellen.
Gerade in den vermeintlich realistischen Bildern von Simone Haack manifestiert sich damit ein Kerngedanke Paul Klees in anschaulicher Weise und zwar dass Kunst nicht das Sichtbare wiedergebe, sondern sichtbar mache. Gehorchen die Bilder auch den Gesetzen der realistischen Malerei, konstituieren sie doch eine „Wirklichkeit, wie wir sie mit Traum, Erinnerung und Imagination assoziieren.“¹ Gerade der Verzicht auf eine räumliche Einbindung der Darstellung verdichtet diesen Eindruck. Die Figuren werden bei Simone Haack oftmals in ein raumloses Nichts platziert – Assoziationen und die eigene Phantasie anregend.
Dies gilt in einem ganz besonderen Maße für die Werkgruppe mit dem Akt eines älteren Mannes. Da hockt er, der Mann, allein, das Haupt bekrönt mit einer grün leuchtenden Tiermaske, sich abstützend mit der Hand an einer nicht existierenden Wand und aufmerksam in eine nicht sichtbare Ferne schauend. Es scheint ein archaisches Bild zu sein. Zeigt es den Mann als Sammler und Jäger – horchend, schauend, auf dem Sprung? Doch fehlt dem Jäger sowohl seine Waffe als auch seine Beute. Vielmehr wirkt die Gestalt in ihrer Nacktheit und Vereinzelung verletzlich. Mit feiner Ironie und einer Portion Humor lässt die Künstlerin auf diese Weise das westliche Bild vom starken Geschlecht erbeben. Dies gilt auch für eine weitere Darstellung aus dieser Werkgruppe, in welcher der männliche Akt wieder auftaucht. Simone Haack setzt die Figur dieses Mal gleich doppelt in Szene. Der Mann und sein Alter Ego hocken nebeneinander im Vordergrund. Die linke Gestalt blickt aufmerksam aus dem Bild heraus und scheint jemandem zu lauschen, die rechte dagegen blickt abwartend zu Boden. Was aber wird gesagt und wer redet? Irritation löst auch die junge Frau im Bild aus, die wie eine Gefangene wirkt – ein zu Boden gestoßenes Opfer. Ihre Haltung ist angespannt und der Kopf wie bei einer Katze auf der Lauer leicht nach vorne geschoben. Die emotionale Aufgeladenheit dieser weiblichen Aktfigur steht in einem krassen Gegensatz zum entspannten Ausdruck der männlichen Gestalten – die Haltungen zwanglos, der Blick arglos. Gefahr scheint von diesen Männern nicht auszugehen.
Auch die Komposition des Bildes agiert mit gegenläufigen Aspekten, die jedoch in ein strenges und zugleich harmonisches Gefüge eingegliedert werden. So platziert Simone Haack die weibliche Gestalt im Goldenen Schnitt und federt deren angespannte Körperhaltung dadurch ab, dass sie die Figur pyramidial aufbaut. Die männlichen Aktfiguren formulieren eine gewisse Symmetrie aufgrund ihrer Doppelung und der variierenden Pose. Die psychische Verdichtung des Themas wird durch eine strenge Komposition kontrolliert, zu der auch die Farbpalette und die Malweise beitragen.
Die Malerin verzichtet auf starke Farbkontraste und bevorzugt eine kühle und reduzierte Farbpalette mit abgemischten Blau-, Rot-, Violett- und Weißtönen, die in einigen Bildern jedoch zugunsten stärkerer Kontraste aufgerissen wird. Die Grundfarben stehen hier unvermischt nebeneinander und erzeugen eine pulsierende Verlebendigung des gemalten Körpers, die beinahe barock anmutet und an Peter Paul Rubens erinnert. Doch geschieht dies ausschließlich über die Farbe und nicht über einen expressiv geführten, ungezügelten Pinselschlag. Die oftmals reduzierte Farbpalette vor allem der Aktbilder erinnert an die Malerei des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi und schlägt zugleich einen Bogen zur zeitgenössischen Malerei des belgischen Künstlers Michaël Borremans, den die Malerin sehr schätzt.
Wie auch in den suggestiven Bildern Borremans, bleibt das Bildgeschehen von Simone Haack geheimnisvoll und rätselhaft. Dies gilt für die meisten ihrer Bilder wie zum Beispiel jene, die zartgliederige Frauengestalten zeigen, die mystische Handlungen vollziehen. Von Ferne klingen Erinnerungen an die Hexendarstellungen von Hans Baldung Grien an. Und auch die ausgestreckte Frauengestalt gibt ihr Geheimnis nicht preis. In dunkle Nacht gehüllt und spotartig beleucht, liegt sie ausgestreckt auf dem Rücken. Von Cindy Sherman kennen wir ähnliche Bilder vereinzelter Frauengestalten. Deutet im Gemälde von Simone Haack zwar nichts auf ein Verbrechen hin – der Körper scheint unversehrt ohne Spuren von Gewalt –, strahlt dieses Bild dennoch eine große Dramatik aus, die vor allem über den Blick transportiert wird. Doch ist es überhaupt noch ein menschlicher Blick, oder sind die Augen bereits starr, das Leben der Frau erloschen?
Es kennzeichnet die Malerei von Simone Haack, dass sie den Blick der Dargestellten an der Betrachterin und dem Betrachter vorbei aus dem Bild führt und auf diese Weise den außerbildlichen Raum mit Spannung auflädt. Nur selten suchen die Figuren die unmittelbare Konfrontation wie im Beispiel der jungen Frau. Mit diesem Gemälde streift die Künstlerin das Genre des Porträts, und doch steht die Persönlichkeit der Dargestellten nicht im Mittelpunkt. Das Bild verharrt nicht im Individuellen, sondern sucht im Blick der jungen Frau einen allgemeingültigen menschlichen Moment des Daseins zu fassen. Der Ausdruck erinnert stark an die Bildserie Female (1992/93) von Marlenes Dumas. Beide Künstlerinnen stellen die menschliche Figur in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung und verzichten auf die unmittelbare Arbeit nach Modellen. Sie greifen vielmehr auf fotografische Bildvorlagen zurück. Modelle irritieren sowohl Simone Haack als auch Marlene Dumas, die dazu bemerkt: „Dann verliere ich die Freiheit des amoralischen Strichs, der für mich die Vorbedingung für ein gutes Bild ist.“²
Das „gute Bild“ bei Simone Haack ist zugleich auch immer ein schönes Bild, das die Betrachterin und den Betrachter auf sich selbst zurückwirft, denn „die Schönheit der Malerei ist ihre Dauer in der alleinigen Gegenwart: die unglaubliche Verdichtung in einem einzigen Moment, dessen Perspektive eine umgekehrte ist, weil sie in uns eindringt, unsere Erinnerung wachruft, unser Gedächtnis aktiviert, die Bilder von uns selbst in der Anschauung gegenwärtig macht.“¹
1.Elke Bippus, Phantasmagorien – Unheimliche (Bild-)Realitäten, in: Simone Haack, Kat. Ausst. Hochschule für Künste Bremen und Städtische Galerie im Buntentor, Bremen 2004, unpag.
2.Marlene Dumas 2000, zit. n. Marlene Dumas. Female, Kat. Ausst. Kunsthalle Helsinki/The Nordic Watercolour Museum Skärhamn/Staatliche Kunsthalle Baden-Baden 2005/06, S. 47.
3. Jean-Christophe Ammann, Schönheit der Malerei, in: Schönheit der Malerei, Kat. Ausst. Städtische Galerie Delmenhorst 2005, S. 12 f., S. 12.